IMPROVISATION

Improvisation ist nicht nur ein musikalisches Spielprinzip – wir kennen Improvisation auch vom Tanz und vom Theater und sogar von der bildenden Kunst, wenn mitunter gerade in Verbindung mit improvisierter Musik Kunstwerke in rascher Zeit geschaffen werden. Improvisation ist aber nicht nur auf die Kunst beschränkt, sie ist ein Überlebensprinzip. Ohne die Fähigkeit zu improvisieren sind viele Lebenssituationen nicht meisterbar. Diese Gedanken in den musikalischen Improvisationsprozess einzubringen, führt weg von der zunächst Angst und Respekt einflössenden, stilistischen Parametern Genüge leisten müssenden „gebundenen“ Improvisation hin zum freien Fluß des assoziierenden, spontanen Kreierens von Melodie, Geräusch, Rhythmus, Klang. Spielerische Neugier ist die beste Voraussetzung, sich auf die Reise zu begeben, in der das Ahnen der Zukunft die musikalische Gegenwart prägt. Meine Erfahrung bestärkt mich in der festen Annahme, dass der Weg über Gestus, Assoziation, Improvisation die erstaunlichsten musikalischen Resultate herbeiführt, welche zu erreichen auf dem tradierten Weg der Übermittlung notierten Materials ungleich mühevoller wäre.

Lerne dein Instrument, deine Stimme wirklich kennen und erweitere das Spektrum deiner klanglichen Möglichkeiten pausenlos, lerne auf überraschenden Ideen basierende kommunikative Spielformen kennen, das lustvolle Entdecken nimmt kein Ende.

JAZZKOMPOSITION
Braucht Jazz Komposition ?
Braucht Komposition Jazz ?
Jazz ist die musikalische Erfindung des 20.Jahrhunderts. Das Zusammenwirken von improvisatorischer Spontaneität, interaktivem Ensemblespiel, pulsorientiertem musizieren und unersättlicher Gier nach Einflüssen hat Spieltypen hervorgebracht, die die musikalische Welt nachhaltig verändert haben und dies in immer stärkerem Maße tun. Ich bin überzeugt, dass diese Veränderung selbst die Erneuerung der Zerschlagung des kadenzierenden Systems überwiegt, handelt es sich doch im Fall Jazz um die Hinterfragung und Neudeutung des Musizierens in globalem Sinne, während im Falle zeitgenössische „neue“ Musik letztlich die kompositorischen Möglichkeiten mit ihren Auswirkungen auf die instrumentale Praxis auf dem Fundament der tradierten Spielmuster erweitert und – leider – auch eingeschränkt wurden. Auch wenn Jazz soeben durch seinen ersten Historisierungsschub einen deutlichen Dämpfer in der Entwicklung erfährt, ist doch nicht anzunehmen, dass sich diese Spielform aus der Gegenwart entfernt und zur Stilübung verkommt.
Was bedeutet es nun, wenn JIM, das Institut für Jazz und improvisierte Musik an der Bruckneruniversität Linz, das Fach Jazzkomposition anbietet, ein Fach, das man an den meisten anderen Jazzausbildungsstätten vergeblich suchen wird und welches zu einem Beruf ausbildet, den es in der Form „Jazzkomponist“ eigentlich nicht gibt ?
Braucht Jazz Komposition ?
Wenn man nach Assoziationen zu Jazz sucht, dann ist es die Improvisation, die als erstes natives Jazzprinzip auftaucht. Ein Aspekt für die Wichtigkeit von Jazz im Musikgeschehen ist mit Sicherheit, der Improvisation ein neues Forum, eine neue Trägerwelle gegeben zu haben. Nachdem nun die freie Improvisation ohne das Fangnetz der Akkorde und Skalen erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts thematisiert wurde, stellt sich die Frage, wie man vorher mit Komposition umgegangen ist, denn das Spielen nach Akkorden, Skalen setzt einen kompositorischen Akt voraus. Als ?Vehikel? für die Reise der parametergebundenen Jazzimprovisation dienten und dienen Lieder – das große amerikanische Liedgut – und Eigenkompositionen der Improvisatoren, auf jeden Fall Lieder, die über zweiteilige Formen selten hinausgehen. Eine gängige Praxis war es, über bewährte Akkordfolgen schnell eine neue Melodie zu suchen, um das Publikum ein wenig in die Irre zu führen, genauso wie nach wie vor das Reharmonisieren, die Suche nach neuen Akkordfolgen für bestehende Melodien und Themen, die Geschicklichkeit und das theoretische Wissen der Spieler fordert. Dieses theoretische Wissen wird seit den 60er Jahren mit der Entstehung der ersten Jazzcolleges gesammelt, gebündelt und in den Themenkreisen Improvisation, Analyse und Jazztheorie an die Studenten weitergegeben. Ein bemerkenswerter Aspekt der Jazzgeschichte ist, dass das ?Über-Bord-werfen? der Lieder, Akkorde, Skalen, die Suche nach der total freien Hingabe an den improvisatorischen Moment, zeitgleich mit der Verschulung des damals Bisherigen stattfand. Vielleicht führte dieser Gegensatz dazu, dass sich die Jazzcolleges ?einigelten? und sich sofort eine Kluft zwischen der rauen erfinderischen Welt der Clubs und Bühnen und der hermetischen, die ?reine Lehre? verbreitenden Welt der Colleges auftat, eine Kluft, die nach wie vor besteht.
Der vorher beschriebene Umgang mit dem tradierten oder eigenen Liedmaterial betrifft nicht nur die Kleinbesetzung, die Combo, sondern auch die größeren Besetzungen bis zur Bigband, nur erfordert die Übertragung eines ?leadsheets? auf einen großen Klangkörper die Beherrschung einer weiteren, über das kompositorische ?Know how? der Improvisatoren hinausgehenden Kunst, des Arrangierens. Es ist signifikant , dass man im Jazz, selbst wenn man eigene Themen bearbeitet hat, das Endprodukt als Arrangement bezeichnet. Dies drückt die Enge der Liedform am besten aus, wo es schon großer Arrangeurkunst bedarf, kompositorische Gedanken in der ewigen Abfolge von A- und B-Teilen unterzubringen. Was waren und sind Auswege aus dieser formalen Öde ? Einerseits gibt es seit jeher bei vielen Jazzmusikern einen starken Hang zur Klassik, der, wenn umgesetzt, zwar die Liedformen hinter sich lässt, aber, was die Tonsprache betrifft, zumeist gnadenlos naiv bleibt. Andererseits findet man im Bereich der Filmmusik interessante Jazzkompositionen, allerdings reduziert sich die Möglichkeit, aufwendige Kompositionen für Filme zu realisieren, immer mehr. Die Fusionära der 70er und 80er Jahre führte – beeinflusst von Rock und ethnischen Musiken – zu mehr modalen Konzepten im Jazz, die auch Chancen für Komposition innehaben, was längere epische Entwicklungen anbelangt.
Generell ist aber zu sagen, dass seitens des Jazz die Chance, eine Verbindung mit den kompositorischen Möglichkeiten des 20.Jahrhunderts einzugehen, bis auf die bemerkenswerten und bald wieder vergessenen Versuche des „Third Stream“ nicht genutzt wurde. Wenn die Szene in der Ratlosigkeit der 80er, 90er Jahre nicht auf den Historismus, sondern auf eine Verbindung mit dem „europäisch“ – kompositorischen Denken gesetzt hätte, wäre die Stellung des Jazz im derzeitigen weltmusikalischen Geschehen sicher eine bessere.
Aber: es ist noch nicht zu spät, eine handverlesene Schar von Komponisten, zu denen ich mich zählen darf, geht diesen Weg und erzielt spannende Resultate.
Jazz braucht Komposition !
Braucht Komposition Jazz ?
Aus dem letzten Absatz ist herauszulesen: Es würde dem Jazz gut tun, den Formenreichtum und den diffizilen, ästhetisch-durchwachsenen Umgang mit Tönen und Geräuschen der komponierten Musik des 20.Jahrhunderts in einer Verbindung zu nutzen, nur, was bleibt noch – außer der Improvisation – jazztypisch in dieser Verbindung ? Es ist die Akzeptanz des Rhythmus als sich selbst tragende, ästhetische Grundvoraussetzung der Musik. Allzu oft hört man von der Seite der E-Musik, dass Rhythmus durch das Zusammenspiel der Töne und Geräusche sowieso entstehe und die Thematisierung von Rhythmik gefällige, sprich schlechte Literatur produziere. Als interessante Rhythmik gilt in diesen Kreisen bestenfalls ein mathematischer Zugang, der jedoch in seiner Unkörperlichkeit mit wirklicher rhythmischer Kunst nichts zu tun hat. Erst in letzter Zeit entwickelt sich Interesse für außereuropäische rhythmische Kontrapunktik und es bewirkt großes Staunen, was für ein vermeintlich unentdeckter ästhetischer Reichtum da nicht auf seine Begegnung mit anderen Musiken wartet, sondern auf höchstem Niveau autochthon ohne europäische Kolonialisierung auskommt; vermeintlich unentdeckt, weil diese Erfahrungen schon vor Jahrzehnten von Jazzmusikern gemacht wurden, die diese Einflüsse anschließend in Komposition und Improvisation dokumentierten.
Bei der Sensibilisierung des Themas Rhythmik ist Jazz Avantgarde, hinkt die klassische Avantgarde hinterher, geraten Jazzzitate in klassischen E-Stücken genauso billig, unreflektiert und banal wie manche Annäherung von Jazzmusikern an die „klassische“ Seite.
Dies einzugestehen, ist hoch an der Zeit, den Jazz somit in das ästhetische Gipfeltreffen der Musik zu integrieren nicht nur angemessen, sondern notwendig, die Verbindung findet bereits über Komposition statt, über Jazzkomposition.
Komposition braucht Jazz vielleicht auch deshalb, weil Jazz die dem Moment verpflichtetste Musik ist und ein bisschen mehr Moment kann der konzeptverliebten und dadurch vor der Gnadenlosigkeit des Moments fliehenden klassischen Avantgarde nicht schaden, deshalb bitte ich um Verständnis, liebe Leser, wenn ich jetzt – mit einem unbestreitbaren Lustgefühl – das Textverarbeitungs- wieder mit einem Notendruckprogramm tausche.

Christoph Cech, im März 2005


Jazz allgemein:
Die große Erfindung des Jazz ist die Wiederfindung der Improvisation im 20. Jahrhundert und die Etablierung eines starken Entwicklungsstranges dieser Musizierform als wichtige Ergänzung zum interpretierenden Betrieb. Jazz schöpft seine Ausdruckskraft aus der Flüchtigkeit des inspirierten Momentes und ist somit untrennbar mit dem hier und jetzt des Livekonzertes verbunden, eine Verbundenheit, die der Jazzmusik durch das Sterben ihrer Liveeinrichtungen derzeit zum Nachteil gerät. Jazz in seiner ldealform existiert nicht als Projektion abgestimmt auf ein Ereignis, sondern passiert dauernd, umgibt Musiker und Hörer. Den Platz dieses Umgebens nimmt heute die Popmusik ein, der Jazz ist nicht mehr in größerem Maße kommerziell auswertbar. Andererseits ist der Impetus, aus sich selbst heraus spontan Musik zu schöpfen, ein bemerkenswerter kreativer Akt, welcher angesichts der zunehmenden Hülsenhaftigkeit der überdokumentlerten Interpretationskunst immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Jazz heute
Allerdings ist dieser Wandel von der konsumierten, zumindest in bestimmten Menschengruppierungen omnipräsenten Musik zur definierten Kunstmusik für überdurchschnittlich Interessierte weder in den Köpfen vieler Veranstalter, Redakteure, Rezensenten noch in den Köpfen der Schaffenden selbst vollzogen. Es macht sich der Trotz einer Gebrauchsmusik breit, die keiner mehr braucht. Dieser resignativen Einstellung, die vor allem unter Musikern, die sich der Tradition des Mainstream verbunden fühlen, weit verbreitet ist, steht der nach wie vor ungebrochene künstlerische Output, die Potenz der Jazzmusik in ihrer stilistischen Breite gegenüber. Den schlechten und leider immer schlechter werdenden Produktionbedingungen zum Trotz treibt der Jazz immer neue Blüten - die sich in letzter Zeit auch gegen die eigene museale Erstarrung wehren müssen -, was ein Beweis dafür ist, daß zumindest in Kreisen der Musiker Jazz nach wie vor ein großes Anliegen ist. Der Spagat zwischen höchster künstlerischer Anforderung und ökonomischem Hobbystatus ist allerdings für die Betroffenen sehr schwer zu ertragen und es gehört eine gesunde Portion Zähigkeit dazu, Jazz als künstlerisches Argument durchzusetzen und nebenbei zu überleben.

Jazz im Umgang mit seiner Tradition
Den Versuchen, dem Jazz im Umfeld der neuen innovativen Musik ein besseres Zuhause zu schaffen, stehen die Bemühungen entgegen, der Jazzmusik einen Platz im Klassikmuseum zu erobern. Nur ist die Jazzmusik noch zu jung, um in einer Art rückschauender Auswertung auf das sogenannte Wesentliche reduziert zuwerden. Die museale Praxis, die wütend mit dem Jazz als Lebensgefühl, somit überhaupt mit dem Gefühl dieser Musikbricht, wirkt nicht geerdet, sondern in ihrer bemühten Befracktheit lächerlich.Das heißt nicht, daß man, um Entwicklungen glaubhaft zu machen,dauernd mit der Tradition brechen muß, faszinierend ist ja am Jazz, daß er sich aus einer Art Mixtur immer gleicher Grundparameter - afro- und lateinamerikanische Rhythmik, europäischesTonalitätsgerüst, Ethnisches - immer wieder selbst erneuert. Die Urwurzel des Jazz ist grenzensprengende Musikalität, Neugier, Lust, das Eine mit dem Anderen zu kombinieren. Jazz heißt somitauch Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Musikformen, das Aufsaugen, Umformen, Transportieren verschiedenster Inhalte gleichzeitig trifft den Gedanken einer Weltmusik am genauesten. Dies ist die Tradition des Jazzin dem Sinne, wie ich sie verstehe undnicht das Ausklinken aus der Kreativitätund die Aufarbeitung des Jazz als Geschichte.

Amerika - Europa
Es ist unbestreitbar: Der Jazz ist in Amerika entstanden. Nichtsdestotrotz war es das Zusammentreffen von europäischem Material mit afrikanischen Traditionen, welches zur lnitialzündung dieser Musik führte. Bis in die 60er Jahre passierten alle Entwicklungsschritte in Amerika, erst dann machte sich wieder starker europäischer Einfluß bemerkbar, einerseits, weil sich manche der größten Improvisatoren offen zu ihrem Interesse für europäische Konzertmusik bekannten, andererseits, weil die europäischen Jazzmusiker begannen, sich aus dem Schatten reinen Epigonentums zu lösen und den Jazz auch zum Transportmittel ihrer Traditionen machten. Dieses aus dem Schatten lösen wird jetzt wieder besonders wichtig, weil die museale Verzweiflung von Amerika ausgeht und es wieder Zeit wird, dem Jazz neuen, nach vorwärts richtenden Atem einzuhauchen. Ich glaube, dieser Atem sollte aus dem Bereich der musikalischen Formensprache entstehen, denn das ist ein Bereich, in dem die Jazzmusik sehr wenig hervorgebracht hat. Es ist klar: Als Vehikel für zündende Improvisationen boten sich einfache Formen, am besten Liedformen, an, deren Teile ab der modalen Phase ausgedehnt und ab der Jazzrockära für Ostinati gänzlichgeöffnet wurden. Die Weiterentwicklungwar aber - bis auf die Third Stream Experimente - nur ein konsequentes Hinführen zur totalen Auflösung der - vorkomponierten - Form in der freien improvisierten Musik. Der Reichtum im Umgang mit Formen in der europäischen Musiktradition könnte die Frischzellenkur sein,welche wieder einen Erneuerungsschritt im Jazz bewirkt. Es ist an dieser Stelle auch anzumerken, daß es nur in Europa und vielleicht noch in Japan möglich ist, Entwicklungsschritte,die kommerzieller Verbreitung naturgemäß voraus sind, einem größeren Publikum vorzustellen. Die grausamen Marktgesetze in Amerika würden viele kreativen Keime im Ansatz ersticken, gäbe es nicht die europäische Festivalstruktur, von der mittlerweile fast alle amerikanischen Jazzmusiker bis auf diewirklichen Stars ökonomisch abhängig sind. So ist europäisches Selbstbewußtsein im Jazzbetrieb durchaus angebracht und drückt sich zum Beispiel in einem Land wie Frankreich in den Festivalprogrammen auf bewundernswerte Weise aus.

Improvisation - Komposition
Der Stellenwert der Komposition ist im Jazz zumeist geringer als der der Improvisation. Wer kennt schon die Namen der Autoren berühmter Standards, wenn sie nicht gerade Gershwin heißen oder mit den darüber improvisierenden Berühmtheiten identisch sind? Man wollte ja auch nicht das Lied, sondern jemanden über das Lied improvisieren hören. So verwundert nicht, daß viele Große des Jazz, die sich als Komponisten empfinden, zur Umsetzung ihrer Ideen größere Ensembles bis Bigbands, sogar Orchester wählen, zwingt doch die Behandlung größerer Klangkörper zu kompositorischem Denken. Man muß ja nicht gleich Ellington zitieren, auch McCoy Tyner umgibt sich als Komponist mit einer Nine PieceBand. Das Spiel in großen Bands und die Berührung mit ausgefeilten Arrangements und Kompositionen waren und sind noch immer einwichtiger Fixpunkt in der Karriere der meisten Jazzmusiker. Nun ist aberTatsache, daß durch die vorhin bereits angesprochene ökonomische Krise der Jazzmusik zunächst einmal für die Bigbands die Luft dünn wird. So große Namen wie Gil Evans waren in den letzten Schaffensjahren auf das Entgegenkommen ihrer Musiker angewiesen, denen es Spaß machte, die Ideen des Altmeisters zu realisieren. Selbst junge klingende Namen wie Django Bates können ihre Bigbandprojekte derzeit nur als fliegender Leader, sprich mit an Ort und Stelle zusammengetrommelten Ensembles verwirklichen. Wenn ich aber vorhin angesprochen habe, daß eine Möglichkeit wäre, dem kreativen Engpaß zu entkommen, indem man mehr europäischen Formgeist in der Jazzmusik zuläßt, was wiederum ein zutiefst kompositorischer Ansatz ist, die Komposition im Jazz aber an die Großensembles gekoppelt ist, kann jeder erkennen, daß sich hier ein Problem auftut, auf welches das Augenmerk aller mit Jazzmusik Befasster zulenken ist. Die Komposition im Jazz und die sie interpretierenden Orchester und Ensembles sind zu stärken, um der großen improvisierenden Musik des 20. Jahrhundert's den nötigen Kick ins andere Jahrtausend hinüber zu geben.

Jazz - Clubs
Der Jazz praktiziert wie keine andere Musikform das Experiment auf der Bühne. Wie bei Kommermusik-Ensembles geht es auch bei den Ensembles des Jazz um die ganz feine Abstimmung untereinander, das blinde Verständnis, die Ensembleroutine auf höchstem Niveau. Spielplatz dafür waren immer und sind noch immer die Clubs. Nur wo in den 60er Jahren die Leute noch in Scharen hinpilgerten, um Sessions zuzuhören, ist heute oft gähnende Leere, was sehr frustrierend für die Künstler ist, besonders wenn man viele Kilometer zurückgelegt hat, um das Konzert zu bestreiten. Vor allem in Deutschland ist derzeit ein massives Clubsterben zu beobachten, wahrscheinlich, weil im Zuge der aufgrund der Wiedervereinigung zusammengestrichenen Kulturbudgets zunächst die finanziell schwächsten Kulturinstitutionen, die Jazzclubs, zusperren müssen. Wenn ich eingangs erwähnte, daß der Wandel des Jazz von populärer Musik zur Kunstmusik in den Köpfen zum Beispiel eines Teils der Veranstalter noch nicht vollzogen ist, so ist sicher signifikant dafür, daß man viel zu spät um öffentliche Unterstützung angesucht hat, etwas, was in der zeitgenössischen Musikszene zu den Grundprämissen der Existenz gehört. Hier gegenüber der öffentlichen Hand darauf zu pochen, daß Jazz zu erhaltendem Kunstmusikgut gehört, konnten bislang wenige Clubveranstalter - eineAusnahme ist zum Beispiel das Wiener Veranstaltungslokal Porgy & Bess - glaubhaft machen, oft auch deshalb, weil man in einer Art Trotzreaktion auf dem alten populären Aspekt des Jazz beharrt und auch das Programm dementsprechend feindlich gegenüber neuen Tendenzen gestaltet.

Jazz - Festivals
Die Bretter, die die Jazzwelt bedeuten, sind mittlerweile die Festivals. Leute, die nicht dazu zu bewegen wären, sich im Club über aktuelleTendenzen im Jazz zu informieren, sind begeistert dabei, wenn es das Ganze in 3 Tagen gebündelt als Paket zu hören gibt. Auftritte bei Jazzfestivals sind wichtig: Die Medien sind annähernd vollzählig vertreten, man hat am meisten Publikum, last not least stimmt die Gage in der Regel. Die Schwierigkeit für die im freien europäischen Markt tätigen Ensembles gestaltet sich dahingehend, daß die Festivals fast zur Gänze mit durch Agenturen vertretenen Acts beschickt sind. Die Agenturen buchen in Amerika nach Belieben – die amerikanischen Musiker sind vom europäischen Festivalmarkt abhängig und spielen sogar in Projekten mit, die sich künstlerisch nicht rechtfertigen lassen, um die Restplätze raufen sich hunderte europäische Projekte, welche sich selbst vertreten müssen, weil sie gegenüber Agenturen keine finanziellen Argumente in der Hand haben. Es gibt natürlich Festivals unterschiedlicher Schichtung, hier muß man wieder Frankreich lobend erwähnen, wo der Anteil französischer Musiker bei einem Festival nahezu die Hälfte beträgt und auch weniger leicht verdauliche musikalische Kost ihren Platz im Programm hat.So ist also abschließend Faktum, daß der Jazz, der durch diegrößten Individualisten des Musikbetriebes vertreten sein sollte, kommerziell am besten als Massenauftrieb bei Festivals funktioniert.

Der Jazz und ich
Laufbahn
Der Start meiner Laufbahn als Improvisator und in der Folge als Jazzmusik erfällt in die frühen 70er Jahre, als ich etwa 12 Jahre alt war. Ich begann,Teile aus klassischen Musikstücken, die ich üben sollte, durch frei improvisiertePassagen zu ersetzen oder ich driftete einfach aus Stücken hinaus in den leeren Raum, der nur darauf wartete, durch meine Improvisationen gefüllt zu werden. Aus dem anfänglichen Chaos schälten sich allmählich Akkorde und Strukturen heraus, sodaß ich mein ganzes Jazzmaterial für mich selbsterfand. Rhythmisch hatte ich bereits hervorragenden Unterricht bei Prof.Hans Ulrich Staeps am Konservatorium der Stadt Wien genossen, der mein diesbezügliches Talent entdeckte und weckte und mir für immer jegliche Angst bei rhythmischem Agieren nahm. Wichtige Erlebnisse waren in der Folge die Sessions mit Christian Mühlbacher in den Kellern des Konservatoriums, welche statt der Übezeit für klassisches Schlagwerk abgehalten wurden und dann natürlich die Unmengen an Zeit, die man gemeinsam in den ersten (ungeheizten) Probelokalen verbrachte, um schon damals trotz fehlender Auftrittsoption monatelang an vertrackten Dingen zu üben. Es war bereits in diesen ersten Jahren selbstverständlich, daß man die eigene Tradition -die klassische Ausbildung, das Interesse für die europäische Moderne – mit dem Neuen – dem Jazz, der Improvisation – zu verbinden versuchte. Komponisten wie Frank Zappa, die dies von der anderen Seite ausgehend erfolgreich praktizierten, waren Vorbild. Wichtigster Lehrer Anfang der 80er Jahre: Heinz Czadek, der in Jazztheorie und Arrangement ein insistierend strenges Regiment führte, aber ein untrügliches Gefühl für die Ökonomie im Umgang mit Tönen einimpfte. Aus dieser Zeit resultiert die große Liebe zur Bigbandmusik, zum komponieren und der Drang, eigene Ensembles zugründen, um alles möglichst rasch auszuprobieren.

Pädagogische Tätigkeiten
im universitären Bereich: Es begann mit einem Lehrauftrag für improvisierte Korrepetition am Max Reinhardt Seminar, wo ich Marthe Graham Tanzübungen musikalisch unterstütze und auch ein eigenes Fach in Form von rhythmischer Grundschulung als Voraussetzung für Tanz etablieren konnte. Zu Klassenkorrepetition Saxophon kam letztes Jahr ein Lehrauftrag fürTonsatz und Gehörbildung an der Abteilung für Musikpädagogik dazu, der mich sehr freut, weil er ein Kernanliegen von mir, nämlich die Vermittlung von Komposition, inkludiert. Hier ist es mir sehr wichtig, eine Alternative zur verknöcherten Struktur des strengen Satzes zu bieten und Tonsatz als Komposition zu definieren. Die Geschichte soll nicht als Bildungsbaustein gesehen werden, sondern als Inspirationsquelle für zeitgenössischesMusikschaffen. So läßt sich leicht eine Brücke vom Organum Perotins zu Kompositionstechniken der Minimalmusik herstellen.

Workshops
Ganz besonders wichtig ist mir die Arbeit mit Jugendlichen. Diese reicht von " bandcoaching" mit Schüler- und Lehrlingsbands über die Zusammenarbeit mit musizierenden Schülern sogar auf der Bühne – als ich artist in residence am FestSpielHaus St.Pölten war, stellte ich mein Werkstattkonzert in den Dienst einer solchenZusammenarbeit, vertonte ein Hörspiel und gab Schülern die Gelegenheit, gemeinsam mit Profimusikern ein Arbeitsresultat auf der Bühne zu präsentieren – bis hin zu Berufsbildgesprächen mit Schulklassen und zweitägigen Workshops mit Lehrlingen. Bei diesen Workshops ist es wichtig, den Jugendlichen ihre Rolle als Konsumenten vor Augen zu führen und ihnen bisher Unerhörtes über den Transport eigener Texte in einem eigens erzeugten musikalischen Kontext näher zu bringen.16 dieser Songs sind auf der CD " Zaubersaft" zusammengefasst, deren Erlös weiteren Workshops zugute kommt. Bei der Arbeit mit Schülern ist mein Auftraggeber zumeist der ÖKS, bei den " Hitfabriken" mit Lehrlingen arbeite ich mit dem Büro für Kulturvermittlung Wien zusammen. Beim ersten Lehrlingskulturfestival 1998 in Wr.Neustadt präsentierte ich gemeinsam mit 5 Lehrlingen das Projekt " Chaossymphonie" , bei dem ich Livemusik in den Kontext von Hardcoretechno stellte, in Linz gab es 1999 eine Klangausstellung, bei der das Publikum aus 8 Spuren seine eigene Symphonie mixen konnte. Auf den Spuren sind entweder Sessions mit Lehrlingen zu hören oder elektronische Bearbeitungen von Werksounds aus der Steyrer Lastwagenfertigung. Wichtige Voraussetzung für die Arbeit mit Jugendlichen ist, daß man sich aktuellen Tendenzen der Popmusik nicht verschließt, ein Vorbild auch diesbezüglich ist Miles Davis, der sich immer auch von der Popmusik inspirieren ließ.

Arbeit mit erwachsenen Laien
Ich leite seit einigen Jahren eine Amateurbigband, wo ich das " learning by doing" - Prinzip an oberste Stelle setze. Die Zusammenarbeit mit engagierten Amateuren – im besten Sinne der Liebhaberei – funktioniert deshalb so gut, weil jeder – auch die, die noch fast nichts auf dem Instrument beherrschen – einen wichtigen Beitrag zum Gesamtklangleisten kann. Die Erkenntnis, daß ich zwar spieltechnisch auf die Möglichkeiten der Einzelnen eingehe, aber, was die künstlerische Aussagekraft anbelangt, keinen Fingerbreit Abstriche mache, bringt bei diesen Laien ein so starkes Engagement und ein so sensibles Miteinander hervor, daß manche Profiband sich eine Ecke davon abschneiden könnte.

Jazz in der Ausbildung
Es gibt bei fertig ausgebildeten Jazzmusikern 3 ausgeprägte Profile, zwischen denen das zukünftige Berufsbild angesiedelt ist, aber zwischen denen man sich auch tendenziell entscheiden muß, da zeitlich nicht alles unter einen Hut zu bringen ist.
Das gebrauchsmusikalische Profil
Ausgebildete Jazzmusiker decken ja heutzutage, sofern sie von einer innovativen Abteilung kommen, den gesamten popularmusikalischen Sektorab und sind als solche bei diversen kommerziellen Gelegenheiten gesucht, zum Beispiel Theater-, Musicalproduktionen, Studiotätigkeit für Werbung und kommerzielle Musikproduktionen, Sidemantätigkeiten. Von diesen Arbeiten kann man leben, obwohl auch hier der Markt sehr eng geworden ist und nur die Besten wirklich viel verdienen. Ein Problem ist sicherlich die dauernde Überqualifiziertheit, daß man das, was man eigentlich gelernt hat und was man schätzt, kaum jemals anwenden kann. So lagert man seine ursprünglichen musikalischen Anliegen tief im Inneren ab und baut sich nach außen eine respektable zynische Fassade auf. Es ist oft traurig, mitzuerleben, was das sogenannte " business" aus ehemals engagierten Musikern macht. Auf diese psychologischen Gefahren muß schon während der Ausbildung hingewiesen werden.
Das künstlerische Profil
Den eigenen Gedanken nachhaltig Raum geben und dabei lange Durststrecken riskieren. Dazu gehört neben sprühenden Ideen Mut und Durchsetzungsvermögen. Allerdings sind es diese Leute, die die Entwicklung der Musik vorantreiben und mitunter auch berechtigt dafür Lorbeeren ernten. Es braucht viele solche, daß der Jazz in der musikalischen Gesellschaft endlich jenen Stellenwert bekommt, den er künstlerisch längst verdient. Hier müssen lange vor Verlagen, Medien und Veranstaltern die Ausbildungsstätten ansetzen und ihren Studenten das Gefühl einer ebenbürtigenkünstlerischen Existenz mitgeben. Durch mehr Selbstwertgefühl vor allem den hierzulande anerkannteren Musikformen gegenüber würden sich auf längere Sicht auch die Produktionsbedingungen wieder verbessern – zum Beispiel durch ein solidarisches gemeinsames Auftreten dem Subventionsgeber gegenüber - und der fruchtbare Austausch zwischen den musikalischen Ansätzen, welcher unter Musikern unterschiedlicher Herkunft oft bereits selbstverständlich ist, könnte dem Publikum somit auf höherem Niveau präsentiert werden. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf das gänzliche Fehlen von Agenturen, die innovative Jazzmusik vertreten, als auch auf das fast gänzliche Fehlen von Labels, die sich um diese Musik bemühen. Somit muß sich der Künstler alleine um seine Verbreitung kümmern, was abgesehen davon, daß man durch die starke emotionale Bindung an die eigene Musik von vornherein in einer schwachen Verhandlungsposition ist, eine komplette Überforderung darstellt.
Das pädagogische Profil
Abgesehen davon, daß es wichtig ist, daß man das eigene Wissen, dieeigenen Erfahrungen wieder weitergibt, bleibt es fast keinem Musiker erspart,zu unterrichten. Ich glaube allerdings, daß gute Lehrer selbst neugierig geblieben sein sollten, was impliziert, daß sie die eigene künstlerische Selbstverwirklichung nicht aus den Augen verloren haben dürfen. Das Innerschulische darf nicht abgekoppelt von der Welt da draußen dahinvegetieren, sondern muß – wie bei einem Vogelnest – dauernd mit Eindrücken aus dem künstlerischen Betrieb gefüttert werden. Wenn man als Lehrer den künstlerischen Erfolg vermisst, kommt es oft zu einer Flucht in die Verwissenschaftlichung der Musik. Dies ist aber, wo es doch um den Transport emotionaler Inhalte geht, äußerst kontraproduktiv.
Auf alle 3 Profile ist schon während der Ausbildung hinzuweisen, es ist nicht fair den Studenten gegenüber, die Ausbildung abgekoppelt vom. Danach zu sehen, ein fließender, von Bewußtsein geprägter Übergang ins Berufsleben ist gefragt.

Wofür hat man als Leiter eines Instituts für Jazz und improvisierte Musik diesbezüglich Sorge zu tragen?
einige Gebote:
Zusätzlich zur Vermittlung von instrumentalem / vokalem / musiktheoretischem kompositorischem Rüstzeug muß beachtet werden, daß auf einer Jazzabtellung auch zukünftige Rock- und Popmusiker ausgebildet werden, was impliziert, daß auch die Spielweisen dieser Musikformen unterrichtet werden müssen, ohne künstlerische Reihung.

– daß neue Tendenzen, Spiel-, Arrangement- und Kompositionstechniken an die Studenten weitergegeben werden, was impliziert, daß die Lehrkräfte firm im Sinne der aktuellen Entwicklungen der Musik sind.

– daß Jazzmusiker raus aus dem teilweise selbstverschuldeten Ghetto der Jazzmusik müssen, mit anderen Musikformen in Berührung kommen sollen, sich als Teil zeitgenössischen Musikschaffens verstehen sollen. Die Schwellenangst vor allem zum klassischen Musikbereich hinüber muß überwunden werden, ein Austausch ist anzustreben, zum Beispiel in gemischten Ensembles.

– daß der freien Improvisation gegenüber der stilistisch organisierten mehr Raum gegeben wird, denn hier ist man ganz direkt an einer Wurzel der Jazzmusik, werden Geschichten erzählt, kehrt sich das Innere nach außen, beginnt das Erleben.

– daß neue Technologien, die musikalische Schaffensprozesse beeinflussen und neue ermöglichen, in die Ausbildung integriert werden.

– daß Studierende auf das Leben danach auch durch logistische Hilfestellung vorbereitet werden, zum Beispiel durch Kurse in Selbstmanagement und Erfahrungsberichte von Künstlern.

– daß Resultate des Instituts in den regionalen Konzertbetrieb eingebunden sind, Auftritte liefern die wichtigsten Erfahrungen.

– daß internationale Beziehungen, vor allem auch zu anderen Ausbildungsstätten, gepflegt werden, um zum Beispiel Austauschprojekte zu ermöglichen. Dies ist besonders im EU-Raum derzeit sehr interessant.

– daß ein Schwerpunkt Jazzkomposition errichtet wird. Gegen den eher geringen Stellenwert der Komposition im Jazz muß angekämpft werden, kompositorische Impulse sollen die Bigbandarbeit prägen.

– daß sich die Jazzabteilung als ein Hort der Toleranz, des gegenseitigen Interesses und der spontanen Ausdrucksmöglichkeiten versteht, als die Schmiede eines selbstbewußten, kompletten Musikertypus.

Christoph Cech ist Direktor des Instituts für Jazz und improvisierte Musik - JIM - an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz.

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